Bericht vom 35. Panzerregiment - Autor Hans Schaufler
,,Vor fünf Tagen war ich als Fernmeldeoffizier in den Stab der Abteilung gekommen. Der Vorort Ochota auf den zwischen Rawa und Warschau war unser Sammelplatz. Der zweite Angriff auf Wa stand bevor. Die Panzer warteten in geringen Abständen aufgereiht, hinter ihnen lauert Schützen und die Pioniere in Bereitschaft. Es war ungewöhnlich still. Kein Geschütz- oder Maschinengewehrfeuer, und auch die Artillilerie beiden Seiten schwieg. Nur ab und zu wurde Ruhe von einem Aufklärungsflugzeug an klaren Himmel durchschnitten. Ich saß neben General von Hartlieb im Panzerbefehlswagen. Der Abteilungsadjutant,
Hauptmann von Harling, breitete die Stellungskarte aus. Es ging eng zu. Beide Funker widmete ihren Geräten. Einer konzentrierte sich darauf, das Codewort der Division zum Losschlagen entgegenzunehmen, der andere hatte seine am Schalter, um den Befehl an die Regimenter weiterzugeben. Der Motor tuckerte vor sich hin, und der Fahrer hatte den Fuß auf der Kupplung. Dann ging plötzlich ein Heulen durch die Luft, dicht um uns herum schlugen die Geschosse ein, einige auf der rechten Seite, dann auf der Iinken und schließlich ein paar hinter uns. Eine nach der anderen pfiff und sauste durch die Luft. Schon hörte man die ersten Verwundeter Tages stöhnen. Die polnische Artillerie hatte ihr übliches ,Willkommen' bereitet.
Jetzt erhielten wir den Befehl zum Vormarsch, der sofort an die anderen weitergegeben wurde. Die schweren Motoren unserer Panzer fuhren lautstark ins Gefecht. Der große Kampf um die polnische Hauptstadt Warschau hatte soeben, am neunten Tag des Krieges, begonnen. Wir erreichten die Außenbezirke der Stadt. Wir konnten den Rattern der schwere MG`s, die dumpfen Explosionen der Handgranaten, das Auftreffen der Granatsplitter auf die Panzerplatten hören. Im Befehlswagen jagte eine Meldung die andere. ,Straßenbarrikaden voraus', berichtete 35. Regiment. ,Beschuß durch Panzerjäger - Panzer vernichtet - verminte Barrikade voraus, tönte es aus dem Funkgerät. ,Befehl an das Regiment: Schwenk im Süden', brüllte der Gerneral. Bei dem Getöse draußen mußte man schreien um sich verständlich zu machen. ,Setzen Sie die Meldung an die Division ab', befahl ich. ,Haben Außenbezirke von Warschau erreicht. Straßen versperrt und vermint. Schwenken nach Süd Das Regiment meldete: ,Barrikade eingenommen.
Plötzlich regnete es wieder Granatsplitter. Dem folgte erst rechts, dann links ein Einschlag. Jemand stieß mich in den Rücken. ,Feindliche Stellung 300m voraus', rief der General von in Beobachtungsposten im Turm. ,Rechts abbiegen!" - Die Ketten knirschten auf dem Steinpflaster, als wir über einen leeren Platz fuhren. Schneller! Schneller!' brüllte der General wutentbrannt, denn die Polen waren gute Schützen. Stehen unter schwerem gegnerischen Beschuß", meldete das 36. Regiment. ,Meldung Regiment: Gradnetzmeldepunkt für Artillierieunterstützung angeben', antwortete der General. Steine und Granatsplitter donnerten an die Stahlwände. Die Geschosse schlugen in unmittelbarer Nähe ein. Dann eine weitere Explosion. Ich schlug mit dem Kopf gegen die Meßgräte. Der Panzer bäumte sich auf und wurde zur Seite geschleudert.
Gelbe Funken wurden durch die Turmluke hineingedrückt. Gasmasken, Gurte, Kochge-schirr flogen ums her - ein Artillerietreffer! Es ragen einige Sekunden voller peinigender Zweifel. Ein Blick zu den anderen, eine kurze Berührung, alles war in Ordnung. Der Fahrer legte den dritten Gang ein. Wir schauten uns erwartungsvoll an. Der Panzer bewegte sich. Alerdings machte Kette und Antriebsrad auf der linken Seite ein verdächtiges Klopfgeräusch. Doch wir schienen vom Fleck zu kommen. Plötzlich brach die Hölle über uns herein. Links und rechts von uns hörten wir dumpfe Aufschläge; aus allen Fenstern zielte man mit Maschinengewehren auf uns. Die Geschosse prallten gegen unser Panzerung. Aus den Kellern wurden Handgranaten und Benzinbomben auf uns geworfen. Wir waren zahlenmäßig etwa 100:1 unterlegen, aber wir dennoch nicht auf.
Umgestürzte Straßenbahnen, Stacheldraht, in Boden gerammte Straßenbahngleise und Panzerjäger verlangsamten unseren Vormarsch in südlicher Richtung. ,Bitte laß und jetzt nicht im Stich'. beteten wir alle, denn dies hätte unseren sicheren Tod bedeutet. Immer lauter und besorgniserregender ertönte das Klopfen der Ketten. Dann sahen wir eine Obstplantage, in der wir uns zwischen den Bäumen verstecken konnten. Einige Gruppen unseres Regiments hatten bereits den Warschauer Hauptbahnhof erreicht, allzu oft erhielten wir die Nachricht: ,Vormarsch gestoppt, schwerer Beschuß durch den Gegner - Panzer durch feindliche Panzerjäger und Minen vernichtet - brauchen Artillerieeneunterstützung.'
Unsere Verschnaufpause wurde von einem Artillerieangriff beendet. Die Polen hatten uns entdeckt. Wir konnten weder nach rechts noch links ausweichen. Es blieb uns keine andere als zu versuchen, die beschädigte Kette reparieren. Aber wir hatten keine Zeit, denn Regiment brauchte unsere Unterstützung. Der General ließ eine Meldung nach der anderen absetzen und erteilte reihenweise Befehle. Plötzlich kam es zur erhofften Feuerpause des Gegners. Doch sobald wir die Luken öffneten, trommelte intensives MG-Feuer gegen unsere Panzerplatten. Irgendwo da draußen, versteckt vor unseren Augen, beobachteten uns die Polen. Wir saßen im Brombeergestrüpp und versuchten, nur ja nicht aufzufallen mit unserem Panzer. Unsere Panzerung war vorn verbogen. Der Kettenschutz war geborsten, alle leichten Metallteile fehlten oder hingen lose herab. Ketten und Laufräder hatten Schaden genommen. Wir entfernten alle lockeren Teile und konnten die Ketten frei machen. Dann setzten wir zwei neue Kettenbolzen ein. Vielleicht war uns das Glück hold und ließ uns einige Kilometer zurücklegen. Wir stiegen wieder in unseren Panzer. An Unterstützung aus der Luft sei nicht zu denken, teilte uns die Division mit. Unsere Artillerie war viel zu schwach, um dem feindlichen Gegenangriff standzuhalten. Von der Division kam der Befehl: ,Zurück zum letzten Sammelplatz. Eine Gruppe nach der anderen zog sich im Feuerschutz zurück. An manchen Stellen erwies sich diese Aufgabe als schwieriger als an anderen. Wir im Befehlswagen hatten alle Hände voll zu tun, so daß wir beinahe unsere eigene verzweifelte Lage vergaßen. Nach dem Abzug aller Gruppen war unsere Aufgabe beendet. Nun standen wir vor dem Problem, uns selbst zurückzuziehen. Wieder einmal stand uns ein Spießrutenlauf aus dieser Hölle bevor, der wir beim ersten Mal glücklicherweise entkommen waren. Wir beschlossen, den gleichen Weg zurück zu nehmen. Es war sehr ruhig da draußen, eigentlich sogar verdächtig ruhig. Dieses Schweigen war nervtötend. Wir spürten, wie uns der Feind wachsam beobachtete. Wir wußten auch, daß er nur den geeigneten Zeitpunkt abwartete. Wir kamen an der Stelle vorbei, wo uns das Geschoß getroffen hatte. Nur noch eine einzige Biegung und wir waren wieder auf der langen geraden Straße. Aber wir mußten auch noch eine Barrikade überwinden, und das bedeutete Vorsicht. Als wir die gerade Straße erreicht hatten, verspürten wir im Innern Erleichterung.
Ein schwerer Aufprall erschüttere die Oberseite des Hecks. Dann noch einer - insgesammt wurden wir viermal getroffen. Panzerjäger! Der Motor hielt durch. Dann eine schrille, ohrenbetäubende Detonation. Der Panzer scherte nach rechts aus und blieb stehen. Im letzten Augenblick vernichtet! Bloß raus! Der nächste Treffer wäre unser sicheres Ende gewesen. Aber draußen waren wieder Himmel und Hölle in Bewegung. Das beste war, die Maschinengewehre hinauszuwerfen und dann seitlich abzuspringen. Doch was war das? Vom Heck her stieg Rauch auf Als erstes befürchteten wir, der Motor sei in Brand geraten. Allerdings hörten wir dann dieses ungewöhnliche Zischen. Es war nahezu unglaublich, aber ein Panzerabwehrgeschoß hatte die Nebelgranaten gezündet. Leichter Wind trieb den Rauch auf die Barrikade zu. Zweifelsohne glaubte der Feind, unser Panzer würde brennen. Sein Zögern und der uns einhüllende Rauch ermöglichten unser Entkommen.
,Abteilung an Division', diktierte der General. allerdings vergeblich, denn man hatte uns die Antenne weggeschossen. Eine Kette lag der Länge nach hinter uns. Das Heck war stark verbeult. Schweren Herzens mußten wir unseren Panzer zurücklassen. Es war einfach unmöglich. ihn vor Ort zu reparieren. Wir bauten das Maschinengewehr und die Funkgeräte aus und nahmen auch die Geheimunterlagen mit. Ab und zu mußten wir vor Granaten in Deckung gehen. Eigentlich hätten wir unseren Befehlswagen in Brand setzen müssen, aber das brachte keiner von uns fertig. Anstatt dessen tarnten wir ihn mit Ästen. Wer weiß, vielleicht bot sich ja die Möglichkeit, ihn zurückzuholen. Wir gaben uns gegenseitig Feuerschutz, während wir von Haus zu Haus und Garten zu Garten rannten. Wir schafften es alle. Mit bleischweren Gliedern fielen wir in einen unruhigen Schlaf. Manchmal schreckten wir hoch und erinnerten uns daran, daß wir unseren B 01 schwer getroffen und mit weit geöffnetem Turm nahe einer polnischen Barrikade zurückgelassen hatten. Er mußte sich in einem erbarmungswürdigen Zustand befinden. Ich wachte erneut auf und starrte in die klare Septembernacht. Plötzlich ertönte fragend die rauhe Stimme unseres Fahrers: ,Kommst du mit?' Ich fragte ihn, wohin er wolle. ,Ich habe ein Bergungsfahrzeug organisiert', antwortete er. Wir erhoben uns alle. In jener Nacht gelang es uns, unseren B 01 zu bergen. der - abgesehen von seinem unbeweglichen Turm und seiner Aluminiumkanone - genau wie ein Panzer IV aussah. Einmal schossen die Polen auf uns, aber wir hatten unser Fahrzeug bereits im Schlepp und konnten entkommen. Unser Panzer war zwar beschädigt, aber keiner von uns hätte es fertig gebracht, ihn dem Feind zu überlassen."