Nahkampf mit dem Wolchowknüppel
Mit dem Marschbataillon kommt auch der Fahnenjunker Werner Haupt zur Front, zu jener Front, die die trostloseste und eigenartigste in ganz Rußland ist. Vom August 1941 bis zum Januar 1944 bleibt diese Wolchowfront für die dort eingesetzten Divisionen so etwas wie Heimat. Auch für diesen Ersatz, der die geschwächten Kompanien auffüllen soll. Stabsfeldwebel Naujokat pfeift den Neuankömmling erst einmal zusammen. Erstens schon sowieso und zweitens, weil er noch nicht einmal einen Wolchowknüppel besitzt. Die Männer von Narvik und Kreta, von Demjansk und Cholm und von der Krim tragen ihre Ärmelstreifen und Ärmelschilder. Der Wolchowkämpfer trägt stolz seinen Wolchowknüppel. Er schnitzt ihn sich selbst aus hellem Birkenholz, schwärzt ihn mit Ruß und Stiefelschwärze und ziert ihn mit kunstvollen, oft grazilen Schnitzereien und Einkerbungen. So ist der Empfang an der Front für diesen Neuankömmhng nicht freundlich, und er beeilt sich unter der Anleitung, aber auch unter dem Gespött der hartgesottenen Wolchowkämpfer, einen solchen Knüppel mehr oder weniger kunstgerecht zu schnitzen. Später wird er ihm im ewigen Moor zwischen Kirischi und Nowgorod, im knietiefen Schnee zwischen Tigoda, Tschudowo und Ssinjawino, in den dichten Sumpfwäldern und undurchdringlichen Gestrüpp zu einem unentbehrlichen Begleiter. Er marschiert mit ihm, er schläft mit ihm, und er nimmt ihn sogar mit in den Urlaub.

Gibt es hier auch keine Kesselschlachten, keine erregenden Wehrmachtsberichte über diesen Abschnitt und keine kriegsentscheidenden Operationen an dieser vergessenen Front, so gibt es doch tagtägliche Bewährung, gilt doch jeden Tag der ganze Mensch, der Einzelkämpfer, seine List, seine Geduld, sein Ausharren und sein Wille zu überleben. Dies Land prägt sich die Menschen nach seiner schwermütigen, eintönigen Form.
Heute schleppt der Fahnenjunker zusammen mit seinem Kameraden als Essenholer seiner Gruppe acht gefüllte Kochgeschirre von der Verpflegungsausgabe in Dunkelheit bei Höhe 204. Ehe es ganz hell geworden ist müssen sie in der Stellung sein, denn schon dämmert der Morgen. In dieser Zeit heißt es höllisch aufpassen, nicht nur auf den sumpfigen Weg mit dem elenden Knüppeldamm, sondern auch auf russische Spähtrupps, die die dünnen HKL-Besatzungen und die neblige Dämmerung gerne zu Frontwechseln und sonstigen Unternehmungen nutzen. Diese Essenholer tragen keine Karabiner, weil acht Kochgeschirre und eine Tragetasche mit Brot und Tubenkäse schon genug sind, wenn man in der anderen Hand den Wolchowknüppel zum Stützen und Tasten gebraucht.

Jetzt biegen sie schon über den Sumpf ins Gestrüpp des abgebrannten Waldes ein.
Plötzlich tauchen zwei grünbraune Gestalten auf und heben sich schleichend nur wenig von der gleichfarbigen, nebelgrauen Umgebung ab. Es sind Iwans, die sich jetzt entdeckt wissen. Doch ehe sie ihre Waffen anschlagen können, sind die Kochgeschirre ins nasse Gestrüpp gefallen, ist der Wolchowknüppel wie ein Karabiner an die Wange gerissen und lautstark ,,Ruchi wjärch! - Hände hoch" gebrüllt. Tatsächlich heben die beiden Rotarmisten überrascht die Hände und geben sich gefangen, ehe sie beim Näherkommen statt einer Waffe - nur diesen kontrastreich geschnitzten Wolchowknüppel erkennen! Stolz bringen die Beiden ihre zwei Gefangenen zum Kompaniegefechtsstand, wo sie der Stabsfeldwebel Naujokat wegen der verschütteten Kochgeschirre ,,zur Schnecke" macht. Der Kompaniechef jedoch lobt die tapferen Essenholer, zumal die beiden Gefangenen einer neuen, bisher hier unbekannten Garde-Schützendivision angehören.